Nachfolgend die Stellungnahme zur Lage der Frauenberatungsstellen der Beratungsstelle Frauen e.V..

Die Stellungnahme finden Sie auch auf der Website des Dachverbands der autonomen Frauenberatungsstellen NRW.

 

Frauenberatungsstellen helfen gerade jetzt bei Gewalt und benötigen dabei Hilfe

Geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen war bereits vor der Corona-Krise ein beträchtliches gesellschaftliches Problem. Die auf geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt spezialisierten Frauenberatungsstellen sind auch in der Corona-Krise weiterhin für von Gewalt betroffene und bedrohte Frauen und Mädchen erreichbar. Die Krise und die Isolierungsmaßnahmen verschärfen die Problematik der Gewalt an Frauen und Kindern und stellen die Frauenberatungsstellen wie alle anderen Organisationen auch vor besondere Herausforderungen und Schwierigkeiten, die im Folgenden kurz erläutert werden.

 

1. Reduzierung persönlicher Kontakte – Umstellung auf Telefon und Onlineberatung

Alle Frauenberatungsstellen haben in den letzten Tagen ihre persönlichen Beratungskontakte auf ein Minimum reduzieren müssen. Für viele Klientinnen ist es nicht einfach, vom direkten Gespräch mit einer Beraterin auf telefonische oder Online-Beratung umzusteigen. Diese Umstellung ist für manche Klientinnen ein schwerer Prozess, der zeitaufwändig und professionell begleitet werden muss. Etliche Betroffene benötigen deshalb häufigere oder engmaschigere Beratungstermine, was die ohnehin knappen personellen Ressourcen der Frauenberatungsstellen zusätzlich beansprucht.

Für einige Gruppen von Klientinnen werden bei telefonischer oder Onlineberatung zusätzliche Leistungen wie z.B. das Zuschalten von Sprachmittler*innen oder Übersetzer*innen notwendig, z.B. auch für Leichte Sprache, da anders als in der Face-to- Face-Beratung nicht mit Bildern zur Verständigung gearbeitet werden kann.

Viele Frauenberatungsstellen verfügen über keine guten technischen Möglichkeiten, z.B. Telefonanlagen, mit denen unproblematisch eine Weiterleitung möglich ist oder datensichere Tools für Onlineberatung. Die Umstellung auf andere Beratungsmöglichkeiten als das persönliche Gespräch erfordert deshalb von vielen Frauenberatungsstellen ein hohes Maß an Organisation, Finanzen und Krisenmanagement. Eine bessere technische Ausstattung wird vielerorts dringend benötigt.

Die Arbeitsorganisation der Frauenberatungsstellen wird im Moment derart umgestellt, sodass jeweils nur ein Teil der Beraterinnen vor Ort ist, während die anderen im Homeoffice arbeiten. Es werden Schichtpläne eingeführt, die Teamorganisation wird ungleich aufwändiger.

Die Frauenberatungsstellen benötigen schnelle und unbürokratische finanzielle Zuschüsse, um ihr Angebot während der Krise in dem benötigten Ausmaß aufrechtzuerhalten oder bei steigenden Bedarfen auszuweiten, z.B. für die Beschaffung von technischen oder Softwarelösungen für telefonische und Onlineberatung oder für Übersetzungsleistungen.

 

2. Es können keine Eigenmittel erwirtschaftet werden

Die allerwenigsten Frauenberatungsstellen verfügen über eine Finanzierung, die 100% ihrer Kosten deckt, in den meisten Bundesländern gibt es explizit die Verpflichtung, einen bestimmten Anteil an Eigenmitteln pro Jahr zu erwirtschaften. Ein beträchtlicher Anteil dieser Eigenmittel wird normalerweise durch Honorare für die Fortbildung anderer Berufsgruppen, Honorare für Fachvorträge, aber auch durch Charity-Veranstaltungen eingeworben. Alle diese Möglichkeiten sind während der Corona-Krise nicht gegeben, es ist derzeit völlig unklar, wann wieder Veranstaltungen durchgeführt werden können. Die Frauenberatungsstellen bzw. ihre Trägervereine haben keine Chance, die geforderten Eigenmittel im Jahr 2020 zu erwirtschaften und geraten dadurch in finanzielle Notlagen.

Die Frauenberatungsstellen benötigen eine Zusicherung ihrer Geldgebenden, dass im Jahr 2020 die geforderten Eigenmittel nicht erwartet werden, sondern die Deckungslücken durch erhöhte Zuschüsse aufgefangen werden.

 

3. Projektvorhaben können nicht vollumfänglich umgesetzt werden

Viele Frauenberatungsstellen verfügen über Stellenanteile, die im Rahmen von themenspezifischen Projekten finanziert werden, z.B. Projekte zur Verbesserung der Vernetzung mit Einrichtungen der Behindertenhilfe, Projekte zur Sensibilisierung bestimmter Berufsgruppen für geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt, Präventionsprojekte, etc.. Viele der geplanten Projektmaßnahmen können aufgrund der Corona-Krise nicht umgesetzt werden, z.B. Vernetzungsveranstaltungen, Fortbildungen, Präventionsveranstaltungen und Fachtagungen. Die in den Projekten beschäftigten Kolleginnen werden aber während der Krise trotzdem in den Frauenberatungsstellen gebraucht.

Die Frauenberatungsstellen benötigen eine Zusicherung, dass Projektgelder (Personal- und Sachkosten) in voller Höhe ausgezahlt werden, auch wenn die geplanten Maßnahmen nicht vollständig umgesetzt werden. Da viele Maßnahmen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden müssen, sollte ausnahmeweise eine Übertragung von Mitteln auch in das nächste Haushaltsjahr möglich sein.

 

4. Fallzahlenbezogene Finanzierungsmodelle dürfen nicht zur Reduzierung führen

Bei einigen Frauenberatungsstellen berechnet sich ein Teil der Förderung anhand von Fallzahlen. Niemand kann bisher absehen, wie sich die Bedarfe der Gewaltbetroffenen während der Corona-Krise genau gestalten. Es ist aber davon auszugehen, dass gerade traumatisierte Betroffene zur Stabilisierung während der Krise häufigere Kontakte zur Beratungsstelle benötigen, um die veränderten Lebensbedingungen bewältigen zu können. Wenn einzelne Betroffene die Frauenberatungsstellen häufiger in Anspruch nehmen, wird das – bei gleichbleibenden Personalkapazitäten – zu einer Reduzierung der Fallzahlen in den Frauenberatungsstellen führen.

Frauenberatungsstellen benötigen die Zusicherung, dass sich eine eventuelle Reduzierung der Fallzahlen während der Krise nicht in einer Reduzierung ihrer Zuwendungen niederschlägt. Falls sich außerdem oder dennoch zeitliche Kapazitäten ergeben, muss die Möglichkeit genutzt werden dürfen, an notwendigen Konzepten zu arbeiten, wofür ansonsten keine Zeit ist.

 

5. Die Bedarfe werden vermutlich spätestens nach der Krise steigen

Gerade Frauen und Mädchen, die von Gewalt in ihrer Partnerschaft oder sexualisierter Gewalt im sozialen Nahraum betroffen oder bedroht sind, verfügen in der Corona-Krise über wesentlich eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten. Die Freiräume, sich selbst und die Kinder vor Eskalation und Bedrohung zu schützen, in Sicherheit zu bringen oder sich Hilfe zu suchen, sind in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen deutlich reduziert. Durch die Schließung von Schulen und öffentlichen Institutionen gibt es weniger Aufmerksamkeit für mögliche Anzeichen sexualisierter Gewalt und weniger Ansprechpartner*innen für betroffene Schüler*innen. Viele Familien oder Paare müssen sehr viel mehr Zeit gemeinsam zu Hause verbringen als gewohnt; soziale Kontakte, die der Gewalt und Bedrohung durch den Partner oder andere Familienangehörige entgegenwirken können, sind stark reduziert. Die durch die Krise auftretenden finanziellen Schwierigkeiten und die ständige Anwesenheit von Kindern können Druck und Stress erzeugen und schränken die Handlungsmöglichkeiten von Frauen weiter ein.

Es ist deshalb davon auszugehen, dass gerade Frauen in gewaltbelasteten Partnerschaften während der Krise eine Zunahme der körperlichen, psychischen und sexualisierten Gewalt erleben werden und anzunehmen, dass es in einer größeren Anzahl von Partnerschaften zu Gewalt kommt. Gleiches ist auch für sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu befürchten. Sobald die Krise abklingt und wieder Freiräume vorhanden sind, werden sich viele Frauen und Mädchen an die Frauenberatungsstellen wenden, um das Erlebte zu bewältigen und Schritte zu einem gewaltfreien Leben zu planen.

Die Frauenberatungsstellen benötigen für die Zeit nach der Krise mehr Personalressourcen, um die zu erwartende steigende Inanspruchnahme bewältigen zu können.

 

6. Die Helferinnen brauchen Sicherheit, um Sicherheit vermitteln zu können

Wie viele andere Menschen sind die Mitarbeiterinnen der Frauenberatungsstellen aktuell in Sorge um die finanzielle Situation ihrer Einrichtung, um deren Zukunft, letztlich um ihre Existenz. Es ist ihre tägliche Aufgabe, von Gewalt, existenziellen Krisen und Angst Bedrohten und Betroffenen Stabilität, Zuversicht und Handlungsmöglichkeiten zu vermitteln. Diese Aufgabe zu bewältigen, ohne selbst die Sicherheit zu haben, dass die eigene Einrichtung gesichert durch die Krise kommen wird, ist nicht möglich.

Die Frauenberatungsstellen benötigen den Zuspruch ihrer Geldgebenden, dass ihre Arbeit ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag in der Krise ist und wertgeschätzt wird. Sie benötigen die Zusicherung ihrer Geldgebenden, dass finanzielle und organisatorische Schwierigkeiten schnell und unbürokratisch aufgefangen werden.