Liebe Mitstreiterinnen*, liebe Mitstreiter*,

Einen schönen guten Tag!

Wir sind hier versammelt, um gemeinsam soziale und ökonomische Gerechtigkeit zu fordern, mehr Sozialstaatlichkeit !

Mein Name ist Behshid Najafi. Ich bin langjährige Mitarbeiterin von agisra, einer Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen* und Geflüchtete Frauen*. Wir sind ein Team von 16 Frauen, die überwiegend selbst Migrations- und Fluchterfahrung haben. Wir unterstützen Migrantinnen* und geflüchtete Frauen* unabhängig von ethnischer und sozialer Herkunft, Religion, sexueller Orientierung, Alter, Sprachkenntnissen und Aufenthaltsstatus. Seit 27 Jahren setzen wir uns für die Menschenrechte der Migrantinnen* und geflüchtete Frauen* ein: für ihre Rechtssicherheit, für sichere und menschenwürdige Unterbringung, für ihren Zugang zu Gesundheitsversorgung, für das Recht auf Bildung und Beschäftigung, ungehinderten Zugang zu Beratung und Schutzangeboten und ihre politische Teilhabe . Lange gab es die Erzählung, dass das Covid-19 Virus demokratisch handelt und alle trifft! Es ist uns jetzt gewaltig klar, dass das Virus am härtesten die Schwachen trifft: Menschen, die körperlich, seelisch, ökonomisch oder sozial schwach sind.

Krisen verstärken in der Regel alle existierenden Ungleichheiten. Dies trifft auch auf die durch COVID-19 ausgelöste Krise zu. Geflüchtete Menschen, vor allem Frauen* und Kinder, zählen zu benachteiligten Gruppen und sind aus diesem Grund von der Pandemie und ihren Folgen besonders hart betroffen. Dies führt zu unmittelbaren gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Folgen. Zudem sind Krisenzeiten für Frauen* besonders gefährlich, da sie weniger vor häuslicher und sexualisierter Gewalt geschützt sind. COVID-19 ist gerade in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete eine besondere Gefahr. Denn dort leben viele Menschen auf engem Raum. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Corona anzustecken, ist hoch. In Sammelunterkünften für Geflüchtete sind Abstands-Maßnahmen nicht oder nur bedingt umsetzbar: Mehrbettzimmer und gemeinschaftliche Nutzung von Küchen , Kantinen und Sanitäranlagen können die Gefahr der Verbreitung des Virus erhöhen. Im April 2020 waren Schulen, Kindergärten, viele Geschäfte und andere Orte, wo viele Menschen versammelt werden können , aufgrund des Infektionsschutzes geschlossen. Aber Flüchtlingsunterkünfte, wo viele Menschen unter unzumutbaren Bedingungen leben, waren weiterhin voll belegt und geöffnet.

Wir haben Frauen* mit Kindern, auch Säuglingen, unterstützt die, mit bis zu fünf Personen auf 12 qm, für mehreren Wochen in einem Containersegment gelebt haben. Sie mussten mit 40- 50 Personen Toiletten und Duschen teilen. Abstandhalten, das Gebot der Stunde, war kaum möglich. Daher haben wir mit einem offenen Brief an Gesundheitsminister Herrn Laumann und Flüchtlingsminister Herrn Dr. Stamp diese unzumutbare Situation in Landes-Erstaufnahmeeinrichtungen in Köln kritisiert. Viele andere Institutionen, wie die Technische Hochschule und andere Flüchtlingsorganisationen, haben ebenfalls diese Lage kritisiert und die Schließung von Landes und kommunalen Gemeinschaftsunterkünften gefordert.

Wir haben eine dezentrale Unterbringung, die quarantänegerecht, familiengerecht und menschenwürdig ist, gefordert. Eine Unterbringung, die Gesundheit und Kindeswohl nicht in Gefahr bringt. Abgesehen vom Leben in Gemeinschaftsunterkünften sind Migrantinnen* und Geflüchtete auch in anderen Bereichen überproportional von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Die meisten Verstorbenen in vielen Ländern Europa waren Ältere, Kranke oder vor allem Migrant*innen. Z.B. in Italien, in Großbritannien und Schweden ist das der Fall.
 

Warum?

Migrant*innen leben in beengtem Raum, mit schlechter Wohnsituation, haben unzureichenden Zugang zu Gesundheitsversorgung, mangelnde Information, aufgrund der fehlenden mehrsprachigen Aufklärung, ungerechterer ökonomische Bedingungen und Rassismus-Erfahrungen im Alltag, bei Job- oder Wohnungssuche.

Sie sind unter den Ersten, die ihre Arbeit verlieren. Und sie dürften zu den Letzten gehören, die wieder eine Stelle finden. Wenn sie dann überhaupt noch im Land sind. Denn eine temporäre Aufenthaltserlaubnis (oder auch eine Erlaubnis zum Familiennachzug) kann an eine Arbeitsstelle und ein Mindest-Lohnniveau geknüpft sein. Dabei ist unsere Gesellschaft und sogar unser Leben mittlerweile auf Migrant*innen angewiesen. Wie würde sich Deutschland verändern, wenn nicht viele, hauptsächlich Migrantinnen*, zum Beispiel beruflich putzen würden: Die Büros, die Krankenhäuser, die Supermärkte, die Schulen, alles!

Aufgrund von patriarchalen und rassistischen Strukturen steht Migrantinnen* überwiegend Arbeit im Haushalt, Pflege, Gastronomie oder Sexarbeit offen. Frauen* übernehmen die Reproduktionsarbeit, die auch sonst nicht wertgeschätzt wird, obwohl es wichtige Arbeit ist – das heißt Putzen, Reinigen, Bügeln, Waschen, Pflegen von Kindern, Alten und Kranken. Früher sagte man, hinter jedem erfolgreichen Mann* steht eine Frau*. Jetzt sagen wir: hinter jeder erfolgreichen Frau* steht eine andere Frau*, die eine Migrantin* ist. Diese Arbeit ist eine harte systemrelevante Arbeit , die vereinzelt und isoliert errichtet wird, oft ohne einen Arbeitsvertrag, der Kranken- Renten -und Arbeitslosenschutz garantiert. Neben der Wohnsituation und den Arbeitsbedingungen muss auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Migrant*innen gerechter werden.
 

Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht!

Wie kann aber dieses Menschenrecht in Anspruch genommen werden, wenn das Asylbewerberleistungsgesetz den Zugang zum Gesundheitssystem einschränkt, wenn Migrant*innen sich aufgrund fehlender Sprachmittler*innen gegenüber Ärzt*innen und Pflegepersonal nicht verständlich machen können?

Wir fordern den Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle, unabhängig von Sprachkenntnissen und Aufenthaltsstatus, auch für Menschen ohne Papiere!

Das beinhaltet auch die Finanzierung von Sprachmittler*innen im Gesundheitswesen und die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Menschenrechte sind unteilbar!

Wir fordern Umsetzung diese Menschenrechte für alle!

Unteilbar sind auch unsere Kämpfe für Soziale und ökonomische Gerechtigkeit.

Wir kämpfen gemeinsam weiter!